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Tageslicht und Blendung: Grundsätze

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Blendung gehört zu den häufigsten Ursachen, warum wir in unseren Gebäuden visuelles Unbehagen verspüren. Doch wie wird dieses Phänomen genau definiert? Welche Faktoren und Mechanismen sind hierfür ausschlaggebend?

Definitionen und Mechanismen

Blendung wird im Allgemeinen als ein unangenehmer Sehzustand definiert, der durch helles Licht oder extreme Kontraste verursacht wird. Man unterscheidet zwischen zwei Arten von Blendungen in Gebäuden

  • Beeinträchtigung der Sehleistung (physiologische Blendung): Sie führt zu einer Verminderung der Sichtbarkeit der Sehaufgabe oder der Sehschärfe, das heisst, der Beobachter ist nicht mehr in der Lage, Details von Objekten oder Personen in seinem Blickfeld zu erkennen. Diese Art der Blendung ist überwiegend physiologischer Natur: Die Beeinträchtigung des Sehvermögens resultiert aus einem Verlust des Bildkontrasts auf der Netzhaut, der durch die intraokulare Streuung des Lichts verursacht wird 2. Die Erholungszeit ist eine Kenngrösse für die Blendempfindlichkeit. Sie ist individuell verschieden3.
     
  • Störende Blendung: Sie kann den Betrachter ablenken oder irritieren, ohne ihn jedoch zwingend vom Sehen abzuhalten. Andererseits kann dies mittel- bis langfristig schädliche Auswirkungen wie Sehermüdung oder Migräne zur Folge haben. Dabei handelt es sich um ein vorwiegend subjektives Phänomen. Die zugrunde liegenden psycho-physiologischen Mechanismen sind bis heute wenig erforscht4. Aus diesem Grund lässt sie sich nur sehr schwer charakterisieren. Nach wie vor ist sie Gegenstand zahlreicher Forschungen. Anders verhält es sich bei der physiologischen Blendung, die leichter quantifizierbar ist5
     

Blendquellen

In unseren Gebäuden kann eine Blendung durch verschiedene Quellen erzeugt werden:

  • Direkter Blick durch das Fenster in die Sonne oder in den Himmel, wenn es sehr hell ist
     
  • Spiegelungen der Sonne an nahe gelegenen Gebäuden, auf dem Boden (z. B. Schnee) oder auf dem Wasser, wenn diese direkt auf die Fensterscheiben treffen 
     
  • Lichtreflexionen (Sonnenlicht oder künstliches Licht) auf Bildschirmen (Computer, Projektionsflächen, Anzeigetafeln) oder auf anderen Arbeitsflächen. Sie verursachen eine Verringerung des Kontrasts zwischen dem Sehen auf den Gegenstand und ihrer unmittelbaren Umgebung – ein Phänomen, das auch als Schleierblendung bezeichnet wird.
     
  • Lichtreflexionen (Sonnenlicht oder künstliches Licht) auf glänzenden oder spiegelnden Oberflächen im Raum, die direkt auf die Augen treffen
     
  • Lampen und Leuchten mit sehr hoher Lichtstärke
     
  • Starker Kontrast zwischen direkten (Sonnenlicht, Lampen) oder indirekten (beleuchtete Flächen) Lichtquellen und angrenzenden Flächen 

Diese verschiedenen Quellen können eine störende Blendung, eine physiologische Blendung oder auch beides hervorrufen.

Situations in daylit spaces causing a risk of glare
Situationen, die eine Blendgefahr darstellen können (Quelle:  (a) https://patternguide.advancedbuildings.net/ (b) Critical Investigation of Common Lighting Design Metrics for Predicting Human Visual Comfort in Offices with Daylight, Kevin Van Den Wymelenberg, 2014)

 

Wie lässt sich eine Blendung physikalisch charakterisieren?

Hierfür stellt zunächst die Leuchtdichte eine wichtige Kenngrösse dar. Sie bezieht sich auf die Lichtstärke eines Punkts auf einer bestimmten Fläche und in einer bestimmten Richtung und wird in Candela pro m² (cd/m²) gemessen. Sie kann direkt von einer Lichtquelle (Sonne, Lampe) kommen oder von Licht, das von einer beleuchteten Oberfläche reflektiert wird. Im letzteren Fall hängt dies von der auf dieser Oberfläche auftreffenden Lichtmenge und ihrer Reflexionseigenschaften ab. 

Die Leuchtdichte ist die physikalische Grösse, die dem am nächsten kommt, was das menschliche Auge wahrnimmt – im Gegensatz zur Beleuchtungsstärke, die sich auf die Lichtmenge bezieht, die von einer Oberfläche aufgenommen wird (gemessen in Lux). Sie wird subjektiv durch die Wahrnehmung von Leuchtkraft oder Helligkeit ausgedrückt3.

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Die nachfolgende Tabelle zeigt einige Leuchtdichten im Verhältnis6:

Luminance


Die wahrgenommene Blendung wird in der Regel durch eine zu hohe Leuchtdichte oder einen zu hohen Leuchtdichtekontrast innerhalb des Sichtfelds oder durch eine Kombination beider Effekte verursacht.

Ein Unbehaglichkeitsempfinden tritt insbesondere dann auf, wenn die Leuchtdichte eines Teils des Gesichtsfelds viel höher ist als die Adaptationsleuchtdichte, an die sich das Sehsystem zu einem bestimmten Zeitpunkt angepasst hat. Das menschliche Auge kann extrem grosse Schwankungen in der Leuchtdichte wahrnehmen – in einer Grössenordnung von 108. In einer gegebenen Sehsituation funktioniert das Sehsystem jedoch über einen viel begrenzteren Bereich von Leuchtdichten1 — in einer Grössenordnung von 105. Das Auge muss sich daher auf stärkere und plötzliche Veränderungen der Lichtverhältnisse einstellen. Das Gleiche gilt für grössere Schwankungen in der Leuchtdichte, die während einer Situation auftreten. Diese ständige Anpassung erzeugt Unbehagen und führt zu einer Ermüdung der Augen7.

Wie eine Blendung wahrgenommen wird, hängt auch erheblich von der Position der Blendquelle im Verhältnis zum Betrachter ab. Je kürzer der Abstand zwischen Blendquelle und Sehachse ist, desto intensiver ist die Blendwirkung. Ein weiterer Faktor, der das Blendungsempfinden beeinflusst, ist die scheinbare Grösse der Blendquelle. Die beiden zuletzt genannten Parameter hängen direkt von der Position des Beobachters in einem bestimmten Raum ab. Aus diesem Grund spielt die Innenausstattung von Räumen eine wichtige Rolle bei der Vermeidung von Blendgefahr8. In den Arbeitsschutzvorschriften wird beispielsweise empfohlen, die Arbeitsplätze senkrecht zu den Fenstern anzuordnen9.

 

Subjektive Wahrnehmung von Blendung und weitere Einflussfaktoren

Bestimmte individuelle Merkmale können Einfluss darauf haben, wie Blendung wahrgenommen wird und in welchem Masse sie Unbehagen verursacht. Dies sind beispielsweise Alter, Augenfarbe, Chronotyp10 oder bestimmte Augenerkrankungen11. Laut einer aktuellen Studie12 haben kulturelle Faktoren nur wenig Einfluss auf diese Wahrnehmung. 

Aber auch andere psychologische Faktoren können beeinflussen, wie wir Blendung wahrnehmen. Verschiedene Studien haben beispielsweise gezeigt, dass sich die Blendverträglichkeit erhöht, wenn man einen angenehmen oder interessanten Blick nach draussen hat 13. Auch Umweltfaktoren wie Temperatur, Umgebungslichtspektrum, Luftqualität oder Akustik können unsere persönliche Wahrnehmung zu einem bestimmten Zeitpunkt beeinflussen14. Temporäre Faktoren wie Müdigkeit, Stimmung, bestimmte Nahrungsmittel, Koffein- oder Alkoholkonsum oder eine vorangegangene Lichtexposition können ebenfalls eine Rolle dabei spielen, wie empfindlich wir in einem bestimmten Moment auf Blendung reagieren4.

Auch die Art der Tätigkeit und die Schwierigkeit des Sehens dürften hierbei nicht unerheblich sein. So würde zum Beispiel eine Person, die mit einer Tätigkeit beschäftigt ist, die grössere kognitive Ressourcen erfordert, in einer Blendungssituation weniger Unbehagen empfinden15.

Jüngste Studien haben schliesslich gezeigt, dass sich das empfundene visuelle Unbehagen auch in Abhängigkeit von der Blickrichtung ändert16. Man könnte also erwarten, dass unsere Aufmerksamkeit und damit unser Blick ständig auf die aktuelle Tätigkeit gerichtet sind. In der Realität ist die Blickrichtung jedoch dynamisch, insbesondere dann, wenn sich attraktive Elemente im Gesichtsfeld befinden – Lichtspiele, ein interessanter Ausblick, funkelnde Gegenstände17

Alle oben beschriebenen Faktoren machen es schwierig, Blendung zu charakterisieren und zu bewerten. Um ihren Einfluss besser einschätzen zu können, sind weitere Studien erforderlich10.

 

Fazit

Blendung ist für die meisten von uns ein vertrautes Phänomen. Es handelt sich jedoch um ein komplexes Phänomen, das von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird – von der Umgebung, vom Individuum und von der Zeit. Um den Sehkomfort der Menschen, die sich in Räumlichkeiten mit Tageslicht aufhalten, zu gewährleisten, sollte man diese Erkenntnisse berücksichtigen


Quellen:

  1. The Application of Luminance Mapping to Discomfort Glare: A Modified Glare Index for Green Buildings, M. Hirning, 2014
  2. Overview of glare types and their relationship with macular pigment optical density, O. Putnam, 2017
  3. Eclairage et vision [Rapport de recherche] Notes scientifiques et techniques de l’INRS [Lighting and vision. {Research report} INRS scientific and technical notes], R. Floru, 1996
  4. Temporal effects in glare response, M. Kent, 2016
  5. Maximum luminances and luminance ratios and their impact on users’ discomfort glare perception and productivity in daylit offices, A. C. Linney, 2008
  6. Daylighting handbook, C. Reinhart
  7. Design Guidelines for Glare-free Daylit Work Environments, Osterhaus, 2005
  8. DESIGN RECOMMENDATIONS FOR PERIMETER OFFICE SPACES BASED ON VISUAL PERFORMANCE CRITERIA, I. Kostantzos et al,
  9. www.inrs.fr/risques/travail-ecran/prevention-risques.html
  10. The chronotype is a manifestation of an individual’s natural biological clock, which defines their preference for activities in the morning or evening, such as getting up and going to bed.
  11. Review of Factors Influencing Discomfort Glare Perception from Daylight, C. Pierson, 2018
  12. Discomfort glare from daylighting: influence of culture on discomfort glare perception, C. Pierson et al, 2017
  13. Tuaycharoen, N and Tregenza, P.R., 2007. View and discomfort glare from windows,
  14. Discomfort glare cut-off values from field and laboratory studies, C. Pierson, 2018
  15. An Experimental Study on the Effect of Visual Tasks on Discomfort Due to Peripheral Glare, M. Kent, 2017
  16. HUMAN RESPONSIVE DAYLIGHTING IN OFFICES a gaze-driven approach for dynamic discomfort glare assessment, M. Sarey Khanie, 2015
  17. What attracts our visual attention? A study on saliency mapping for architectural daylit scenes based on virtual reality data, C. Karmann, 2019