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Hauptgründe für das Messen des Sehkomforts

Wir verbringen einen grossen Teil unserer Zeit im Inneren von Gebäuden, ohne uns wirklich Gedanken über die Folgen für unseren Körper zu machen. Da Gebäude also ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens sind, sollten wir uns nicht nur aus Interesse, sondern auch aus Notwendigkeit mit den Auswirkungen beschäftigen, die sie auf unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit haben. Wie sieht es beispielsweise mit dem Sehkomfort aus? Wird dieser in der Praxis überhaupt gemessen? Um mehr darüber zu erfahren, haben wir die Expertenteams im Bereich Messtechnik für Tageslicht von Saint-Gobain Research in Compiègne, Frankreich befragt.

Warum ist es wichtig, den Sehkomfort zu messen?

Ob die Temperatur eines Raumes angenehm oder unangenehm ist, können wir direkt beurteilen. Beim Geräuschniveau, der Luftqualität oder den Lichtverhältnissen hingegen ist dies nicht so einfach. Natürlich stellen wir Unannehmlichkeiten schon sofort fest, z. B. wenn es in einem Raum dunkel zu ist. Doch die konkreten Auswirkungen von zu wenig Licht sind erst langfristig spürbar.

Wenn wir beispielsweise bei unzureichender Beleuchtung arbeiten, verschlechtert sich unser Sehvermögen. Aber wir bemerken es erst nach sechs Monaten. Auch merken wir erst nach einigen Montagen, dass wir schlechter schlafen, weil wir tagsüber nicht genügend Sonnenlicht haben. Unser Körper ist nicht in der Lage, alle Faktoren sofort wahrzunehmen und uns entsprechend zu warnen. Daher sind die Messung und Ermittlung solcher Aspekte mithilfe von Messinstrumenten auf jeden Fall interessant.

 

Um bestimmte Auswirkungen des Lichts vorhersagen zu können, muss der Sehkomfort messtechnisch erfasst werden.

Sind die verschiedenen Instrumente zur Messung des Sehkomforts in der Praxis leicht einzusetzen?

Instrumente wie Luxmeter, Leuchtdichtemessgeräte, HDR-Kameras usw. sind heute problemlos erhältlich. Zudem gibt es Leitlinien und Normen, die gute Anhaltspunkte für ihren praktischen Einsatz liefern. Allerdings steht auch fest, dass insbesondere für die Messung von Blendeffekten ein gewisses Mass an Erfahrung im Bereich der Lichttechnik erforderlich ist. Ein gutes Planungsbüro sollte aber anhand der bestehenden Empfehlungen auf jeden Fall in der Lage sein, diese Tätigkeiten auszuführen. Ein Gebäudebetreiber mit entsprechender Ausbildung wird diese Instrumente auch eigenständig nutzen können, sofern die erforderliche Ausrüstung vorhanden ist.

Warum wird der Sehkomfort selten gemessen?

Im Gegensatz zum Hörkomfort und der Luftqualität, die sich mithilfe von Skalen graduell beurteilen lassen, wird der Sehkomfort häufig im Grunde genommen digital beurteilt: Entweder ist es hell oder nicht. Es wird davon ausgegangen, dass ein Fenster auch Tageslicht hereinlässt und dass eine genaue Analyse deshalb nicht nötig sei. Man stellt sich nicht zwangsläufig die Frage, welche Art von Fenster, welche Grösse oder welche sonstigen Eigenschaften für den Sehkomfort am sinnvollsten wären. Dabei gibt es längst Richtwerte und Skalen, anhand derer schlechte, mittlere und gute Lichtverhältnisse bestimmt werden können! Darüber hinaus sind die nicht-visuellen Auswirkungen des Lichts der breiten Öffentlichkeit noch nicht bekannt. Sie fliessen zudem nur beim Zertifizierungsprogrammen WELL in die Bewertung ein. Ausserdem gibt es auch keine Normen dazu.

 

Sehkomfort wird oft lediglich digital beurteilt. Dabei gibt es längst Richtwerte und Skalen, anhand derer schlechte, mittlere und gute Lichtverhältnisse bestimmt werden können.

 

Wie kann die Messung des Sehkomforts in unseren Gebäuden standardisiert werden? Welche Verfahren können  eine grössere Verbreitung unterstützen?

Da Zertifizierungsprogramme für Gebäude stetig weiterentwickelt werden und Kriterien für den Sehkomfort in die Bewertungsgrundlagen Aufnahme finden, ist auch die Nachfrage nach entsprechenden Messungen auf dem Markt gestiegen. Sollte die Norm EN 17037 in Recht überführt werden, wäre dies förderlich für die weitere Standardisierung der Messmethoden. So ist es beispielsweise mit der Energieeinsparverordnung in Frankreich geschehen, die Anforderungen an Energieverbrauch und thermische Behaglichkeit gemäss europäischen Normen enthält.

Nichtsdestotrotz betreffen die in den Zertifizierungsprogrammen oder in der Norm geforderten Beurteilungen derzeit hauptsächlich die Lichtmenge. Eine Überprüfung von Blendschutzmassnahmen wird beispielsweise bislang ebenso wenig gefordert wie eine Beurteilung von qualitativen Aspekten wie einer Sichtverbindung nach draussen.

Zudem müssen gleichzeitig die Akteure auf dem Markt stärker sensibilisiert werden. Wir müssen unser Wissen über die Kriterien für einen hohen Sehkomfort und die entsprechenden Messmethoden auch weiterverbreiten. Das könnte zu einem Umdenken beitragen. Kleinere, besser verfügbare und erschwinglichere Messgeräte könnten ebenfalls einen Beitrag zur Systematisierung der Messverfahren leisten.

Inwiefern beteiligt sich Saint-Gobain an dieser Initiative?

Bei Saint-Gobain leisten wir insbesondere interne Forschungsarbeit, um ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, was Sehkomfort bedeutet, wie er gemessen werden kann. Dies ist für uns als Hersteller von Baustoffen extrem wichtig. Denn nur wenn wir wissen, wie unsere Lösungen den Komfort von Gebäudenutzern beeinflussen, können wir Innovationen lancieren.

Da wir ausserdem einer der wenigen Industriebetriebe sind, die diesen Fragen nachgehen, haben wir es uns auch zur Aufgabe gemacht, gewonnene Erkenntnisse zu teilen und bei all diesen Themen zur Sensibilisierung des Marktes beizutragen.

 

Die Weitergabe und umfassende Verbreitung von Wissen über den Sehkomfort und die zugehörigen Messmethoden fördern das Bewusstsein auf dem Markt

Wir stellen auch fest, dass derzeit verschiedene Anbieter auf den Markt drängen, die neue Dienstleistungen für die Messung von Umweltdaten in Innenräumen anbieten (Akustik, Innenraumluftqualität, Temperatur und Licht). Ihr Ziel ist es, Unternehmen bei der Verbesserung des Komforts in ihren Räumlichkeiten zu unterstützen. Ein Beispiel für einen solchen Anbieter ist Kandu. Das Unternehmen bietet Analysedienstleistungen auf der Grundlage einer innovativen Plattform vernetzter Messinstrumente an, die in Zusammenarbeit mit Saint-Gobain Research entwickelt wurde. Nach der Analyse der Messwerte und der Auswertung einer Befragung der Gebäudenutzer über ihr Befinden empfiehlt Kandu passende Baustoffe und Lösungen und unterstützt Unternehmen bei der Umsetzung dieser Empfehlungen. Kandu verfolgt einen umfassenden, intuitiven und pädagogischen Ansatz, der auch für die breite Öffentlichkeit leicht verständlich ist. Unter praktischen Gesichtspunkten ist dieser Ansatz sehr interessant.

 

Anhand neuer Plattformen und Dienstleistungen können heute die physikalischen Eigenschaften eines Raums, unter anderem auch die Lichtverhältnisse, einfacher ermittelt werden. Zudem ermöglichen sie eine präzise Analyse der Qualität eines Raums, seiner Nutzung und des Befindens der Nutzer

Welche Rolle könnte die Digitalisierung spielen?

Die Digitalisierung von Gebäuden wird uns die Ermittlung umfassenderer Daten zu den Gebäudenutzern ermöglichen und uns effizienter zu mehr Komfort verhelfen.

Heute werden immer mehr intelligente Gebäude geplant, die mit Sensoren und Systemen zur Messung bestimmter Parameter, wie Witterungsbedingungen und Lichtstärke, ausgestattet sind. Diese ermöglichen die Steuerung bestimmter Ausstattungselemente, um den Sehkomfort in den Innenräumen zu verbessern. Dazu gehören das automatische Tönen von Sonnenschutzglas, das Ein- und Ausfahren von Rollos, das Ein- und Ausschalten der Beleuchtung und vieles mehr. In Zukunft wird diese Gebäudeleittechnik sehr wahrscheinlich durch zusätzliche in den Gebäuden installierte Sensoren, die mithilfe künstlicher Intelligenz ausgewertet werden, weiter perfektioniert. So könnte das Gebäude von den Vorlieben und vom Verhalten der Nutzer lernen und bestimmte Nutzer stärker gewichten als andere, weil sie sich etwa weiter im Gebäudeinneren befinden. Auch wäre die Entwicklung intelligenterer Modelle denkbar, die die Bedürfnisse der Nutzer zielführender erfüllen.

Nicht zuletzt könnte durch die Digitalisierung und die gleichzeitig immer weitere Verkleinerung von Sensoren die Entwicklung aller Vorrichtungen ermöglicht werden, die für die Messung der nicht-visuellen Auswirkungen von Licht benötigt werden. Es ist z. B. denkbar, dass innovative Gebäude entwickelt werden, in denen die Nutzer mit speziellen Brillen ausgestattet werden, die die Synchronisierung des Schlaf-Wach-Rhythmus überwachen können. Wenn festgestellt wird, dass die Synchronisierung nicht mehr gegeben ist, könnte eine Meldung an das Gebäudeleitsystem gesendet werden. Dieses könnte wiederum mögliche Lösungen zur erneuten Synchronisierung ermitteln, um das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen zu fördern.

 

Die Digitalisierung von Gebäuden wird uns zu mehr Sehkomfort verhelfen und unser Wohlbefinden sowie unsere Gesundheit im Allgemeinen fördern.