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Messen des Sehkomforts in Gebäuden

Der Sehkomfort stellt neben dem Raumklima, dem Hörkomfort und der Luftqualität einen der wichtigsten Grundpfeiler bei der Planung von Gebäuden dar, bei denen die Nutzer im Mittelpunkt stehen. Doch wie wird Sehkomfort definiert? Der Sehkomfort in einem Gebäude hängt in erster Linie von einer ausreichenden und qualitativ hochwertigen Tageslichtversorgung, einem guten Blendschutz und einer freien Sichtverbindung nach draussen ab. Erst an zweiter Stelle folgt künstliche Beleuchtung.

Diesbezüglich gibt es heute eine Vielzahl von Kennwerten und Softwareprogrammen, mit denen bestimmte Aspekte des Sehkomforts in der Planungsphase bewertet und beurteilt werden können. Doch was, wenn das Gebäude bereits fertiggestellt ist und genutzt wird? Mit welchen Messmethoden kann geprüft werden, ob nicht nur die Vorgaben im Lastenheft, sondern auch die Erwartungen der Gebäudenutzer erfüllt werden?

Um diese Frage zu beleuchten, haben wir mit den Expertenteams im Bereich Messtechnik für Tageslicht von Saint-Gobain Research in Compiègne, Frankreich gesprochen.

Welche Instrumente stehen uns heute zur Verfügung, um die Tageslichtversorgung in einem Raum zu messen?

Das ist mit sogenannten Luxmetern möglich, die die Beleuchtungsstärke in der Einheit Lux angeben. Diese Geräte sind heute in verschiedenen Ausführungen mit unterschiedlichen Empfindlichkeitsstufen hinsichtlich des Einstrahlwinkels, der Spektralempfindlichkeit und der Intensität sowie mit unterschiedlichen Genauigkeitsgraden erhältlich. Geräte mit sehr hoher Genauigkeit ermöglichen beispielsweise auch Messungen bei sehr schwachem Licht. Für die Messung des Tageslichts reicht aber eine gröbere Auflösung meistens aus. Auch sind Geräte in verschiedenen Grössen erhältlich, z. B. kabelgebundene Luxmeter (Abb. a) und Kompakt-Luxmeter mit Messzelle und Display in einem kleinen Gehäuse (Abb. b).

Kabelgebundene Luxmeter werden im Allgemeinen zu Forschungszwecken verwendet und dienen der Beurteilung bestimmter Verfahren oder Produkte. Kompakt-Luxmeter hingegen eignen sich für punktuelle Messungen, um etwa die Lichtversorgung in einem Gebäude nach dessen Fertigstellung zu prüfen. Für kontinuierliche Messungen über einen längeren Zeitraum hinweg (z. B. einen ganzen Tag oder eine Woche) muss ein solches Gerät allerdings mit einem System zur Erfassung und Speicherung der Messdaten ausgestattet sein.

Bei Saint-Gobain haben wir eigene, «MC Lux box» genannte Geräte auf der Basis kleiner Sensoren von Texas Instruments entwickelt, die zur Erfassung und Speicherung der Messdaten mit einem Raspberry Pi gekoppelt sind (Abb. c). Der Vorteil dieser Luxmeter ist, dass sie sehr unauffällig sind und drahtlos funktionieren. Dementsprechend können leicht mehrere Geräte in einem Raum platziert werden, um die Lichtverteilung zu ermitteln und Messungen zur Tageslichtautonomie durchzuführen. Die Wahl für ein bestimmtes Messgeräts hängt letztlich vom konkreten Zweck ab, zu dem es eingesetzt werden soll.

 

 

(a) Kabelgebundene Luxmeter (b) Kompakt-Luxmeter (c) Raspberry Pi und MC Lux box

Wie steht es mit Blendeffekten? Können diese gemessen werden?

Bislang ist auf dem Markt noch kein Gerät erhältlich, das als Komplettlösung das Messen von Blendeffekten ermöglicht. Um einen solchen Effekt auch nur annähernd messtechnisch erfassen zu können, muss zunächst die Leuchtdichte¹ bestimmt werden. Ausgehend davon können Kennwerte errechnet werden, mit denen sich wiederum die Wahrscheinlichkeit einer Blendung angeben lässt. Messinstrumente dafür existieren zwar, jedoch nur im akademischen Bereich. Sie funktionieren durch mehrfache Messung der Lichtstärke einer Szene mit unterschiedlicher Belichtungsdauer, sodass sich nachvollziehen lässt, was vom Auge bei einem bestimmten Dynamikumfang wahrgenommen wird. Dieses Prinzip nennt man HDR-Fotografie (High Dynamic Range bzw. hoher Dynamikumfang). Solche Instrumente bestehen unter anderem aus HDR-Kameras und Leuchtdichtemessgeräten (Abb. a bzw. b).

 

  

Beispiele für Geräte (Abb. a und b), mit denen Bilder mit hohem Dynamikumfang (Abb. c) erstellt werden können, um Quellen für Blendeffekte zu ermitteln

Trotz alledem können die Ergebnisse ein und derselben Messung unterschiedlich interpretiert werden. Es ist zwar tatsächlich möglich, das, was das Auge in Bezug auf die Lichtverteilung wahrnimmt, zu messen und darzustellen. Wie das Auge jedoch angesichts einer bestimmten Verteilung reagiert, lässt sich noch nicht vorhersagen. Der Lichtstrom ist eine definierte und bekannte physikalische Grösse, auf die Blendung trifft dies jedoch weniger zu. Zum Glück existieren heute bestimmte Kenngrössen für Blendeffekte, z. B. der DGP-Wert (Daylight Glare Probability, Wahrscheinlichkeit der Blendung durch Tageslicht) oder das Leuchtdichteverhältnis. Auch wenn in diesem Bereich derzeit noch geforscht wird, lässt sich bereits eine hohe Korrelation dieser Grössen mit dem menschlichen Befinden bestätigen. Diese Kennwerte können mit den oben beschriebenen Geräten gemessen werden.

Die nicht-visuellen Auswirkungen des Lichts gelten heute als wichtige Parameter für den Sehkomfort und unsere Gesundheit. Zwar werden sie immer häufiger von Gebäudeplanern berücksichtigt, insbesondere seit der Entwicklung des Zertifizierungsprogramms WELL, doch wo stehen wir tatsächlich in Bezug auf ihre Erforschung?

Wir sind heute in der Lage, ausgehend von einer Messung der Lichtstärke und der Wellenlängen einen Teil der nicht-visuellen Auswirkungen des Lichts zu messen. Wir wissen auch, auf welche Wellenlängen das Auge und der menschliche Körper besonders empfindlich ansprechen. Auch kennen wir die Zusammenhänge zwischen der Lichtstärke und der Aktivierung bestimmter biologischer Funktionen.

Im Rahmen des Zertifizierungsprogramms WELL² wurde beispielsweise der Begriff des melanopisch wirksamen Lichts³ eingeführt, um die Auswirkungen der Beleuchtungsbedingungen in einem Raum auf unsere Gesundheit zu bewerten. Dabei handelt es sich um einen stark vereinfachten Ansatz, der jedoch eine gute schematische Darstellung der Wirkung bestimmter Arten von Licht im Tagesverlauf auf unseren Körper ermöglicht. Zwar kann melanopisch wirksames Licht mit Messgeräten gemessen werden, die auf herkömmlichen Luxmetern basieren – wobei sich nur die Nachbearbeitung unterscheidet, da die Melanopsinbildung im Auge in die Berechnung einbezogen wird –, doch müssen diese Geräte auf Augenhöhe platziert werden. Das macht ihren Einsatz derzeit noch ein wenig unpraktisch, weshalb sie nicht sehr weit verbreitet sind. Verschiedene Universitäten haben erste Prototypen von Brillen entwickelt, in die solche Sensoren integriert sind. Diese sind jedoch noch nicht auf dem Markt verfügbar.

 

Faktoren, die die nicht-visuellen Auswirkungen des Lichts beeinflussen (links) und die spektrale Reaktion unseres visuellen Systems, d. h. die Kurve der visuellen bzw. photopischen Empfindlichkeit V(λ) sowie die Kurve der melanopischen Empfindlichkeit C(λ) (rechts)

(Quelle: Daylighting, Artificial Lighting and Non-Visual Effets Study for a Residential Building, J. Mardaljevic, M. Andersen, N. Roy, J. Christoffersen)

Ein Aspekt, der hingegen schwieriger zu erfassen ist, ist die Berücksichtigung der Vorgeschichte der Gebäudenutzer. Um erfassen zu können, welchem Licht eine Person wie lange in einem bestimmten Zeitraum ausgesetzt ist, muss sie dauerhaft mit Sensoren ausgestattet werden, die kontinuierliche Messungen vornehmen. Das ist in der Praxis äusserst kompliziert.

Inwiefern können Faktoren der individuellen Wahrnehmung, z. B. die Sicht nach draussen, gemessen oder beurteilt werden?

Es ist bekannt, dass eine Sichtverbindung nach draussen wichtig für den Menschen ist und der Blick auf die Natur, die Beobachtung des Wetters usw. einen positiven Einfluss haben. Allerdings wissen wir nicht, wie wir diese Faktoren quantitativ messen können, obschon in den letzten Jahren einige Methoden vorgeschlagen wurden. Vielleicht wird uns dies in Zukunft möglich sein, wenn wir durch Fortschritte in der Neurowissenschaft die Auswirkungen der Sicht nach draussen auf das menschliche Gehirn besser verstehen. In der Zwischenzeit greifen wir auf eher qualitative Ansätze zurück. Diese basieren beispielsweise  auf Befragungen zum Wohlbefinden in einem Raum. Die bei diesen Ansätzen gewonnenen Daten sind allerdings schwierig auszuwerten, da das Befinden immer subjektiv ist und von Person zu Person unterschiedlich ist. Intern haben wir Methoden entwickelt und standardisiert, anhand derer wir versuchen, das Befinden trotzdem messbar zu machen. Dabei haben wir auf Ansätze aus der Soziologie zurückgegriffen.

 

Stock photo of three check boxes for :) :( and :| and a person's hand with a pencil hovering nearby

Bei der Beurteilung der eher qualitativen Aspekte des Sehkomforts wird heute auf soziologische Ansätze zurückgegriffen

Welche Bezugswerte liegen für die Interpretation der Daten vor, nachdem sie erfasst wurden?

Für eine gute Analyse sollten die Empfehlungen und Grundsätze der Ergonomie beachtet werden, die in Leitfäden für ergonomisches Design, in der Arbeitsgesetzgebung, aber auch in den Leitlinien der internationalen Beleuchtungskommission CIE (Division 3⁴) beschrieben sind. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass diese Standards ursprünglich hauptsächlich für künstliche Beleuchtung entwickelt wurden. Weitergehend kann die neue Norm EN 17037 als Bezugsrahmen herangezogen werden. Darin wird erstmalig definiert, wie ein hinreichender subjektiver Helligkeitseindruck in Innenräumen mithilfe von Tageslicht erzielt wird. Die Norm berücksichtig auch qualitative Aspekte, die in anderen Normen oft aussen vor bleiben.

Ein weiterer Ansatz sind Zertifizierungsprogramme für Gebäude wie LEED, HQE, BREEAM, WELL usw., in denen bereits vor der Verabschiedung der Norm EN 17037 die Bedeutung des Sehkomforts berücksichtigt wurde. Sie enthalten im Allgemeinen dieselben Arten von Kennwerten, z. B. Lichtmenge, Blendschutz usw. Aber es unterscheiden sich teilweise die jeweiligen Untersuchungskriterien.

 

 

Eloïse Sok ist Concept Creator bei SageGlass Europa & Mittleren Osten. Sie hat einen universitären Doppelabschluss im Bereich Ingenieurwissenschaften der Ecole Centrale in Frankreich und der Tsinghua Universität in China. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen nachhaltiges Bauwesen, Tageslicht und der Komfort der Gebäudenutzer. Ihr Motto: "Leidenschaft ist unsere grösste Stärke".

 

 

 


¹ Die Leuchtdichte gibt den von einer Lichtquelle abgegebenen Lichtstrom an, der eine bestimmte Fläche durchdringt oder von ihr reflektiert wird und von unserem Auge wahrgenommen wird, wenn wir diese Fläche aus einem bestimmten Winkel betrachten. Die Beleuchtungsstärke oder Lichtstromdichte hingegen gibt den auf eine bestimmte Fläche auftreffenden Lichtstrom an. Die Einheit der Leuchtdichte ist Candela pro Quadratmeter (cd/m²) und die der Beleuchtungsstärke Lux (lx).

² https://www.wellcertified.com/

³ Die an die «nicht-visuelle» Reaktion des Auges, also die Empfindlichkeit der ipRGC-Zellen angepasste Messung der Beleuchtungsstärke dient dazu, die für die Regulierung des biologischen Rhythmus «wirksame» Lichtmenge zu ermitteln.

 http://www.cie.co.at/technical-work/divisions/division3/division-public…