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Gesündere Gebäude mit Umweltpsychologie

Green outline of human head.

Wenn es darum geht, den Menschen in den Mittelpunkt der Gebäudeplanung zu stellen, kann man sich nicht nur ausschliesslich auf die «harten» wissenschaftlichen Fakten verlassen. «Weichere» Faktoren der Human- und Sozialwissenschaften – einschliesslich der Umweltpsychologie – spielen hier auch eine entscheidende Rolle. Um die Umweltpsychologie besser zu verstehen und herauszufinden, wie sie zur Gebäudeplanung beitragen kann, haben wir mit Femke Beute gesprochen. Sie ist Inhaberin von LightGreen Health und Postdoc-Forscherin an der Universität Jönköping.

 

Was versteht man unter Umweltpsychologie? Wann und weshalb ist sie entstanden?

Femke Beute (F.B.): Die Umweltpsychologie ist eine noch relativ junge Disziplin. Sie befasst sich mit der wechselseitigen Interaktion zwischen Mensch und Umwelt und basiert auf der Erkenntnis, dass die Umwelt uns beeinflusst, wir aber auch unsere Umwelt beeinflussen. Innerhalb der Psychologie hat sie bisher weniger Aufmerksamkeit erhalten als beispielsweise die klinische Psychologie und die Sozialpsychologie, obwohl ihr Einfluss zunimmt. Tatsächlich begrenzte sich die Psychologie als Wissenschaft anfangs nur auf das Individuum. Dieser Bereich wurde mit der Arbeit von Egon Brunswick, Kurt Lewin und Roger Barker vor etwa einem Jahrhundert auf die physische und soziale Umwelt ausgeweitet.

Innerhalb der Umweltpsychologie gibt es zwei Schwerpunkte: 

  1. Der erste Bereich, in dem ich tätig bin, befasst sich mit dem Einfluss der Umwelt auf das Individuum in Bezug auf menschliches Verhalten, Kognition, Affekt, Physiologie usw. Beispiele sind die Erholung wie Stimmungsaufhellung und Stressabbau oder der Orientierungssinn also wie Menschen sich in einem unbekannten Gebäude oder in einer Stadt zurechtfinden oder die Bindung an einen Ort wie ganz bestimmte Merkmale, die Menschen an einen Ort binden. 
  2. Der zweite Bereich ist die Naturschutzpsychologie. Sie konzentriert sich auf die Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt und darauf, wie man umweltfreundlichere Verhaltensweisen fördern kann, um die Natur zu erhalten.

Anders als beispielsweise die Sozialpsychologie ist die Umweltpsychologie heute (noch) nicht als eigenständige Disziplin etabliert und wird auch nicht als solche gelehrt. Tatsächlich gibt es weltweit nur wenige Studiengänge für Umweltpsychologie. Die meisten Menschen, die auf diesem Gebiet arbeiten, sind über viele verschiedene Disziplinen verstreut, wie zum Beispiel der Arbeitspsychologie oder der klinischen Psychologie, der Architektur, der Epidemiologie oder der Medizin. Das bringt einerseits Herausforderungen mit sich, macht aber andererseits auch die besondere Stärke dieser Disziplin aus.

 

Wie hängen Umweltpsychologie und Architektur zusammen?

F.B.: Ich würde sagen, dass es sich um zwei verschiedene Disziplinen handelt, die sich für das gleiche Thema interessieren. Allerdings sprechen sie eine andere Sprache und haben manchmal unterschiedliche Ziele. Die Forschung ist auch generell sehr langsam. Anders ist dies bei einem Architekturprojekt. Als Architekt hat man einen Auftrag, und man kann den Prozess nicht zu sehr verzögern, indem man nebenbei noch Forschung betreibt. 

Als Forscher besteht die Herausforderung darin, die Ergebnisse unserer Studien zu generalisieren und in einen architektonischen Entwurf zu übertragen. So können beispielsweise die Auswirkungen eines Fensters auf das Wohlbefinden von Menschen, die unter Laborbedingungen ermittelt wurden, anders sein, als unter realen Bedingungen, denn die Form oder die Dimensionen eines Raums, wie die Deckenhöhe oder der Wandfarbe spielen auch eine Rolle.

Ich bin jedoch überzeugt, dass beide Disziplinen immer stärker zusammenwachsen. Während meines Architekturstudiums wollte ich verstehen, wie Gebäude die Menschen beeinflussen und wie ich mit meinen Entwürfen dazu beitragen kann, dass sich die Menschen in Gebäuden wohler fühlen. Allerdings wurde diese Art der Forschung innerhalb meines Studiengangs nicht angeboten. Deshalb wechselte ich in den Studiengang «Human-Technology Interaction».

Wenn wir uns heute ähnliche Architekturstudiengänge anschauen, wird dort mehr und mehr über den Menschen geforscht. Architekturbüros übernehmen schrittweise die Werkzeuge und Forschungsmethoden, die in der Umweltpsychologie entwickelt wurden. Ich gehe davon aus, dass dies in Zukunft auch immer häufiger der Fall sein wird. Dennoch könnten wir bereits jetzt von einer offenen Kommunikation zwischen Forscher und Architekten profitieren. Forscher sind sehr an den Zahlen interessiert und daran, alles zu kontrollieren, während sich Architekten eher auf den Entwurf konzentrieren und darauf, mit welchen Materialien sie ein starkes Konzept umsetzen können. Die Umweltpsychologie könnte von den Herausforderungen beim Gebäudedesign, die sich den Architekten stellen, lernen. Wie ich schon sagte, ist es ein sehr grosser Schritt von der Umsetzung der mikroskopisch kleinen Veränderungen, mit denen sich Forscher im Labor befassen bis in die komplexe Realität.

Pièce illuminée par le soleil, avec un escalier sur la droite et des personnes assises dans des fauteuils à gauche

 

Welchen Nutzen könnten wir aus einer engeren Zusammenarbeit zwischen Umweltpsychologie und architektonischem Design ziehen?

F.B.: Ziel der Umweltpsychologie ist es zu verstehen, wie unsere Umwelt uns beeinflusst, und dieses Verständnis so umzusetzen, dass Gebäude gut und gesund für die Menschen sind. So sind Gebäude mehr als nur ein Raum, der uns Schutz vor Regen bietet. Dabei hat die Umweltpsychologie keine leichte Aufgabe, da es immer eine Kombination von Faktoren ist, die einen Raum ausmachen. Aber sie wird immer wichtiger, da die Menschen immer häufiger in Städten und in gebauten Umgebungen leben. Und die aktuelle Coronakrise hat gezeigt, wie wichtig es ist, an einem angenehmen Ort zu leben und Zugang zur Natur zu haben. Architektonisches Design braucht das Forschungswissen und den Input, und die Forschung muss die Ideen der Designer verstehen. Nur wenn beide die gleiche Sprache, sprechen, können die Erkenntnisse in der realen Welt umgesetzt werden.

Jean Singer & Cie SA employees working on dials. Smart windows allow them to have a view on the outside while being protected from heat and glare.

 

Haben Sie Beispiele dafür, wie die Umweltpsychologie in der Praxis angewendet wird, um gesündere Gebäude zu schaffen?

F.B.: Es gibt eine Reihe von Bereichen, in denen bereits eine fruchtbare Zusammenarbeit existiert. Healing Environments sind ein gutes Beispiel: Hier wird zunehmend das Wissen über erholsame Umgebungen angewendet, die Menschen dabei hilft, Stress abzubauen. Abgesehen davon könnten Studien vor und nach einer Nutzung zeigen, wie die weitere Implementierung der Umweltpsychologie in Gebäuden gefördert werden kann. Insbesondere Umfragen sind hilfreich, denn dadurch können wir praktische Erfahrungen sammeln. Es gibt auch einige Entwicklungen innerhalb der Forschungsmethodik, die wir nutzen könnten, um Dinge in der Praxis zu testen und die Kluft zwischen Design und Forschung zu überbrücken.

So liefert beispielsweise der Einsatz der mobilen Sensorik – mit Smartphones und Sensoren – weitere Erkenntnisse darüber, was Menschen tun und wie sie ihre Umgebung nutzen. Zu den ersten Technologien, die in der Umweltpsychologie zum Einsatz kamen, gehörten physische Tracer. Diese ermöglichten es, zu sehen, wo die Menschen hingingen und wie sie das Gebäude nutzten. Heute, in Kombination mit moderner Technologie und Sensoren, würde uns das helfen, viel besser zu verstehen, wie die gebaute Umgebung uns beeinflusst. Wir könnten diese sogar mit grossen Datensätzen kombinieren, die alle physischen Eigenschaften der Umgebung und das menschliche Verhalten in dieser Umgebung zusammenfassen z. B. was die Menschen fühlen, ihr Aktivitätsniveau, ihre Herzfrequenz usw. Die Technologie und die Forschungsmethode sind da, aber wir müssen sie auf intelligente Weise einsetzen und Menschen finden, die bereit sind, diese zu nutzen.

 

Wie wirken sich Ihre Forschung und Lehre auf die Erkenntnisse über Tageslicht und die Sicht nach draussen aus?

F.B.: Wenn man lernt, wie wichtig es ist, genügend Tageslicht zu bekommen, eine natürliche Aussicht zu haben oder in einer grünen Umgebung zu leben, hat das auch Auswirkungen auf einen selbst. Ich bin aufs Land gezogen, damit meine Tochter in einer grüneren Umgebung aufwachsen kann. Ausserdem versuche ich, genug Tageslicht zu bekommen und sitze deshalb so nah wie möglich am Fenster. Wenn ich Studenten zu diesem Thema unterrichte, gibt es immer wieder welche, die mir sagen, dass sich durch diese Erkenntnis einige Aspekte in ihrem Leben verändert haben. Das zeigt, dass kleine Veränderungen tatsächlich eine grosse Wirkung haben können.

Aber wenn ich mit Menschen aus meinem Umfeld spreche, die nicht in diesem Bereich tätig sind, besteht immer noch ein grosser Aufklärungsbedarf. In der Gestaltung von Krankenhäusern beispielsweise wurden die Vorteile von Natur und Tageslicht bereits aufgegriffen und versucht umzusetzen. Jedoch sollten wir auch mit Architekten zusammenarbeiten, um ein optimales Gebäude in anderen Bereichen wie dem Wohnungsbau zu entwerfen. Letztlich hängt aber alles von den Nutzern ab. Die schönste Fensteröffnung bietet keinerlei Vorteile, wenn der Nutzer beschliesst, diese den ganzen Tag mit einem dicken Vorhang zu verdecken.

Healthcare

 

Was sind die grössten Herausforderungen und Forschungslücken, insbesondere in Bezug auf Fenster, die die Umweltpsychologie in Zukunft näher untersuchen sollte?

F.B.: Es gibt noch viele Aspekte, die untersucht werden müssen, aber Fenster haben bisher vergleichsweise schon viel Aufmerksamkeit erhalten. Jetzt müssten wir zum Beispiel auch untersuchen, wo die Fenster in einem Raum platziert werden müssen und welche anderen Aspekte des Raums ebenfalls wichtig sind wie die Wahl der Materialien, Abstände zwischen Möbeln, die Form des Raums usw. Obwohl der Ausblick nach draussen erholsam sein kann, so kann auch die Art und Weise, wie das Gebäude selbst gestaltet ist, zur Erholung beitragen. Wir müssen uns aus diesem Grund die Natur genauer anschauen, indem wir das Tageslicht in unsere Wahrnehmung der natürlichen Umgebung einbeziehen und die verschiedenen Aussichten getrennt vom Tageslicht betrachten, denn das Tageslicht ist nur ein Teil der Natur. Wir müssen die Wetterveränderungen und die Wetterdynamik stärker berücksichtigen und müssen wissen, wie sich diese auf die Nutzer auswirken und wie wir dies im architektonischen Design einfangen und nutzen können, um den Benutzern ein erholsames Erlebnis zu verschaffen. Wenn wir sehen könnten, wie sich die Schatten der Blätter an der Wand im Wind bewegen oder wie sich eine Wolke vor die Sonne schiebt, könnte dies dazu führen, dass sich die Bewohner wohler fühlen.

Natürliche Umgebungen sind an sich bereits erholsam: Wenn wir nach draussen gehen, fühlen wir uns besser und sind leistungsfähiger. Wie können wir in dieser zunehmend urbanisierten Welt diese Verbindung mit der Natur und dem Tageslicht aufrechterhalten? Und wie können wir sicherstellen, dass die Grundbedürfnisse der Menschen auch in den Städten erfüllt werden können? Das ist die grösste Herausforderung im Gebäudedesign.

 

 

Femke Beute ist Umweltpsychologin. Sie erforscht die positiven Auswirkungen unserer physischen Umwelt auf den Menschen und konzentriert sich insbesondere auf die Auswirkungen unserer natürlichen und gebauten Umwelt und des Tageslichteintrags auf Gesundheit und Wohlbefinden. Sie hat einen Bachelor in Architektur und einen Master in Human-Technology Interaction. Ihr Dissertationsprojekt konzentrierte sich auf die positiven Auswirkungen von Natur- und Tageslichtexposition auf die psychische Gesundheit. Ausserdem möchte sie die psychologische Laborforschung durch Feldforschung ergänzen, um das komplexe Zusammenspiel zwischen Mensch und Umwelt im Alltag mithilfe von mobiler Sensorik und Smartphonetechnologie besser zu verstehen. 2018 gründete sie ihre eigene Forschungs- und Beratungsagentur LightGreen Health mit dem Ziel, das wissenschaftliche Verständnis der positiven Auswirkungen unserer physischen Umgebung auf Gesundheit und Wohlbefinden zu vertiefen. Noch wichtiger ist es ihr, Menschen ausserhalb des akademischen Bereichs über diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zu informieren und die Technologien, die zur Erholung beitragen könnten, in Design und Planung einzubeziehen. Sie kombiniert ihre Beratungstätigkeit mit einer akademischen Position im Bereich Lichtforschung an der Universität Jönköping.