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Die erste EU-Norm über Tageslicht in Gebäuden

Sie haben womöglich lange auf sie gewartet (oder auch nicht), und jetzt ist sie endlich da! Worum geht es? Natürlich um die berühmte, nie dagewesene, bedeutende und einzigartige EN 17037 – die erste europäische Norm über Tageslicht in Gebäuden!

Eine europaweite Premiere

Jetzt werden Sie sich vielleicht fragen, ob es sich tatsächlich um eine Premiere handelt. Möglicherweise wollen Sie aber auch wissen, warum es schon wieder eine neue Norm gibt und worin sich diese von all den anderen unterscheidet. Dann begrüssen wir Sie in der Welt der Normen!

Tatsächlich existieren bereits andere, mehr oder weniger bedeutende europäische Normen zu verschiedenen Aspekten des Tageslichts. Hier wäre beispielsweise EN 15193 zu nennen, in der Methoden zur Bestimmung der Tageslichtverfügbarkeit in Gebäuden festgelegt wird. Diese Norm befasst sich allerdings nur mit der Berechnung der für die Beleuchtung benötigten oder verbrauchten Energiemenge. Die Norm EN 12464-1 hingegen legt Anforderungen an die Beleuchtung von Bürogebäuden im Hinblick auf den Sehkomfort fest. Hierbei werden allerdings Tageslicht und künstliche Beleuchtung vermischt. Als internationale Norm kann ISO 8995-1 angeführt werden, deren Anwendungsbereich etwa dem von EN 12464 entspricht. Ein weiteres Beispiel ist ISO 16817, in der ein Verfahren zur Planung einer qualitativ hochwertigen visuellen Umgebung in Innenräumen festgelegt wird, wobei Tageslicht und künstliche Beleuchtungssysteme die Schlüsselparameter darstellen. Bislang gab es allerdings keine europaweit gültige Norm, die sich ausschliesslich und umfassend mit der Menge und Qualität des Tageslichts in Gebäuden befasst.

Lediglich in einigen wenigen Ländern wurden bereits eigene Normen über die Innenraumbeleuchtung und Tageslicht verabschiedet. Dazu gehört beispielsweise Deutschland mit DIN 5034-1. Im Übrigen stossen neue EU-Normen, die möglicherweise bestehende einzelstaatliche Normen ersetzen, nicht immer auf Zustimmung – zumindest nicht von Anfang an.

Die Grundlagen 

Mit der neuen Norm sollen hauptsächlich Gebäudeplaner angehalten werden, in Innenräumen mithilfe von Tageslicht einen hinreichenden subjektiven Helligkeitseindruck zu erzielen.

 

Dazu werden in der Norm Mindestempfehlungen in Bezug auf die zu erzielende Tageslichtmenge genannt. Genauer gesagt werden drei Mindestempfehlungen ausgesprochen, aus denen sich drei mögliche Niveaus für die Beleuchtung mit Tageslicht ergeben: mindestens erforderliche, mittlere und hohe Tageslichtversorgung. Für jedes Niveau muss auf einer Fläche von mindestens 50 % bzw. mindestens 95 % des Raums zu 50 % der Tageslichtstunden ein bestimmtes Beleuchtungsziel erreicht werden.

Um beispielsweise eine mittlere Tageslichtversorgung zu erzielen, müssen für Räume mit vertikalen Fassadenfenstern oder Dachoberlichtern folgende Mindestwerte eingehalten werden:

  • 500 lx in 50 % des Raumes zu 50 % der Tageslichtstunden
  • 300 lx in 95 % des Raumes zu 50 % der Tageslichtstunden

Zu Informationszwecken werden zwei Berechnungsverfahren beschrieben: Das erste basiert auf der Ermittlung eines Tageslichtquotienten, das zweite auf der dynamischen Ermittlung der jährlichen Tageslichtbeleuchtung entsprechend den klimatischen Bedingungen vor Ort. Darüber hinaus werden Überprüfungsverfahren genannt, z. B. ein Simulationsverfahren und ein Verfahren für Messungen vor Ort.

Dabei ist zu beachten, dass diese Empfehlungen nicht von der Art des Raumes abhängen. Dementsprechend gilt diese Norm gleichermassen für Büroräume, Klassenzimmer, Krankenhauszimmer usw.

Ermittlung des Tageslichtquotienten bzw. der Tageslichtautonomie zur Bestimmung des Niveaus der Tageslichtversorgung im Raum

Hinzu kommt, dass diese Norm weder Anforderungen in Bezug auf die Beleuchtung vorgibt, die für die Durchführung bestimmter Sehaufgaben erforderlich ist, noch einen Bezug zu der für die Beleuchtung des Gebäudes erforderlichen Energiemenge herstellt. Diese Aspekte werden in den oben aufgeführten Normen bereits abgedeckt.

Mehr als nur Tageslicht

Eine der Besonderheiten und Neuheiten der neuen Norm besteht darin, dass ihr Anwendungsbereich sich nicht nur auf die reine Tageslichtmenge in Innenräumen beschränkt. Sie enthält darüber hinaus auch genaue Empfehlungen zu drei weiteren Parametern, die bei der Planung eines Gebäudes in Bezug auf Tageslicht zu beachten sind:

  • Schutz gegen Blendung
  • Direkte Sonneneinstrahlung
  • Sichtverbindung nach aussen

Auch für diese drei Parameter können drei Niveaus erreicht werden.

In der Norm werden Sonnenschutzmassnahmen empfohlen, um die Gefahr einer Blendung durch Tageslicht zu mindern. Die Beurteilung des Blendschutzvermögens basiert auf der Wahrscheinlichkeit der Blendung durch Tageslicht (Daylight Glare Probability, DGP). In der Norm werden verschiedene DGP-Werte vorgeschlagen, die nur für maximal 5 % der Nutzungsdauer eines Raumes überschritten werden dürfen. Die Beurteilung kann entweder durch die Berechnung der Werte oder, bei der Nutzung von in EN 12216 aufgeführten Schutzvorrichtungen (Rollos, Vorhänge, nicht streuende Verglasungen mit variabler Tönung), mithilfe eines vereinfachten Verfahrens durchgeführt werden. Des Weiteren wird vorgeschlagen, die Beurteilung mittels weiterer Berechnungen und Messungen zu bestätigen.

Beurteilugn des Blendungsschutzes in einem Raum anhand der DGP

Das Kriterium der direkten Sonneneinstrahlung betrifft Räume in Wohngebäuden, Krankenhäusern oder auch Spielzimmer in Kindergärten. Eine solche Sonneneinstrahlung wird als wichtig für das menschliche Wohlergehen angesehen. Für die Beurteilung wird die Sonneneinstrahlung in einem Raum an einem bestimmten Tag (z. B. dem 21. März) bestimmt. Dabei muss die Sonneneinstrahlung über eine ausreichende Anzahl von Stunden gewährleistet sein. Die empfohlene Anzahl an Sonnenstunden liegt je nach Niveau (mindestens oder maximal erforderlich) zwischen 1,5 und 4.

Des Weiteren wird in der Norm die Bedeutung der Aussicht nach draussen hervorgehoben, die die Verbindung zwischen dem Innenraum und der Umgebung herstellt. Zugleich mildert die Aussicht auch nach stundenlangem Aufenthalt in Innenräumen die Ermüdung der Augen und beugt geistiger Erschöpfung vor. Die Qualität dieser Sichtverbindung nach aussen wird nach den folgenden Kriterien beurteilt: Grösse der Fenster und Oberlichter, horizontaler Winkel des Lichteinfalls von einem Bezugspunkt im Innenraum, Abstand zwischen Fenstern und den nächsten Hindernissen im Aussenbereich sowie Mindestanzahl der Komponenten der Aussicht (Himmel, natürliche oder städtische Umgebung, Boden etc.).

Eine ehrgeizige Norm! Und was jetzt?

Die Norm ist offiziell im Dezember 2017 verabschiedet worden. Dennoch haben zahlreiche Forscher und Ingenieurbüros bereits vor der offiziellen Publikation Experimente zu teils realen, teils theoretischen Fällen durchgeführt. Ziel war es, sich mit der Norm und den darin aufgeführten Verfahren vertraut zu machen und sich eine genauere Vorstellung über ihre Auswirkungen auf die Gebäudeplanung zu verschaffen.

Die ersten Ergebnisse zeigen, dass die Norm sehr ehrgeizige Ziele verfolgt, zumindest was die Empfehlungen in Bezug auf die Tageslichtversorgung angehen. Was ist also von ihr zu halten? Viele werden jetzt sicherlich sagen: «Sie ist das Ergebnis der Lobbyarbeit von Glasherstellern!» Egal, was darüber gesagt wird, meiner Meinung nach ist die Norm eine hervorragende Neuerung. Sie stellt einen enormen Fortschritt für die Gesellschaft der Glashersteller und die Baubranche im Allgemeinen dar.

Nach zahlreichen Diskussionen und Besprechungen, einem Wechsel der Verantwortlichen, Millionen in der Simulationssoftware Radiance berechneten Lichtstrahlen, erneut mehreren Debatten und Textvorschlägen hat es fast acht Jahre gedauert, bis die Norm nach ihren Anfängen nun endlich verabschiedet wurde!

Diese erste Fassung mag vielleicht noch nicht perfekt sein. Wichtig ist jedoch, dass die neue Norm die Bedeutung zweier Dinge unterstreicht, nämlich des Tageslichts in unseren Gebäuden und der Sichtverbindung nach aussen. Beides ist für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit von grundlegender Bedeutung! Gleichzeitig gibt sie Gebäudeplanern qualitative und quantitative Bewertungsgrundlagen an die Hand, mit denen sie eine optimale Tageslichtzufuhr und somit den Komfort der Gebäudenutzer sicherstellen können.

EN 17037: Ein kleiner Schritt für die Welt der Normen, ein grosser Schritt für den Komfort in unseren Gebäuden!

Wenn Sie die Empfehlungen dieser Norm bei der Planung Ihres Gebäudes berücksichtigen möchten, können Sie bestimmte Simulationsprogramme wie DIAL+ oder Velux Daylight Visualizer verwenden, in denen verschiedene Kriterien aus EN 17037 bereits integriert sind. So können Sie sich die Arbeit erleichtern und ersparen sich die 62-seitige Norm als nächste Abendlektüre…